Sally Gardner – Zerbrochener Mond
Carlsen
277 Seiten
ISBN: 978-3-551-58307-9
16,90 €
ab 14 Jahren
Zur Autorin:
Sally Gardner ist Legasthenikerin und hat dadurch bedingt erst mit 14 Jahren lesen gelernt. Trotzdem wurde sie auf einer Kunstschule angenommen. Sie arbeitete lange Zeit als Bühnenbildnerin und Kostümdesignerin, bevor sie mit dem Schreiben begann. Heute ist sie eine erfolgreiche Jugendbuchautorin und ihre Werke werden in 22 Sprachen übersetzt. Die Autorin lebt in London.
Zum Buch:
Irgendwo auf dem Planeten Erde, in einer Zeit, nach dem zweiten Weltkrieg: ein totalitäres Regime hat die Macht übernommen und strebt die Weltherrschaft an. Standish Treadwell lebt mit seinem Großvater in Zone 7 bei den Unreinen. Dort werden alle Menschen hingeschickt, die das System stören. Standish gilt als unrein, weil er zwei verschieden farbige Augen hat und ihm die Andersartigkeit buchstäblich ins Gesicht geschrieben steht. Außerdem kann er weder lesen und schreiben und ist daher auch ein Gespött in der Schule. Er wird gemobbt und oft verprügelt.
Eines Tages zieht Hector mit seiner Familie in das Nachbarhaus ein. Sie wurden von Zone 1 in Zone 7 umgesiedelt, weil sein Vater sich weigerte für das Regime zu arbeiten. Standisch und Hector freunden sich an und helfen einander so gut es geht und Standish wird nicht mehr verprügelt.
Und dann gibt es noch Standish mit seiner Phantasie, die wie eine frische Brise durch den Park weht, sieht die Bänke gar nicht, merkt bloß, dass keine Hundescheiße da ist, wo Hundescheiße sein sollte.
Sally Gardner // Zerbrochener Mond // Seite 10
Als das Regime verkündet, eine Rakete auf den Mond schicken zu wollen, träumen Standish und Hector davon, selbst in einer gebastelten Rakete auf den Planeten Juniper zu fliegen. Eines Tages macht Hector eine Entdeckung, von der er seinem Freund nichts erzählen will. Am nächsten Tag ist die gesamte Familie weg und Standish allein.
Ich habe doch gesagt, Tod und Verschwinden sind ein und dasselbe. Beide stinken.
Sally Gardner // Zerbrochener Mond // Seite 66
Plötzlich ist alles wieder so, wie es war, bevor Hector kam. Er wird wieder gemobbt und kann sich niemandem anvertrauen. Dann wird er auch noch von den Ledermantelmännern befragt. Als er selbst eine unglaubliche Entdeckung macht, dämmert Standish langsam das ganze Ausmaß seiner Misere. Er muss handeln oder die Welt ist für immer verloren.
Meine Meinung:
Die Autorin hat hier eine brisante und zeitlose Geschichte erdacht. Zwar wird mit keinem Wort erwähnt, wo die Geschichte spielt, doch die Parallelen zum Naziregime sind überaus präsent: Ledermantelmänner, Strammstehen vor der Flagge des Mutterlandes, Deportationen und die Ausbeutung Andersartiger. Ein Menschenleben zählt hier nicht. Die Erzählung macht deutlich, dass unter anderen Umständen ein solches Szenario durchaus und immer wieder denkbar ist. Gerade das macht die Geschichte so lebendig und traurig zugleich.
Das zweite, große zentrale Thema ist die Mondlandung. Ohne hier zu viel vorwegzunehmen: die Autorin hat sich durchaus mit dem Thema auseinandergesetzt und Fragen, die sich heute noch hunderte von Menschen stellen, gekonnt in Einklang gebracht. Das ist ganz großes Kino!
Standish, der gleichzeitig als Ich-Erzähler fungiert, ist ein ungewöhnlicher Junge, der gegen den Strom schwimmt und sogar das eigene Leben aufs Spiel setzt, um die Welt zu retten. Die Frage ist, wie würde jeder einzelne von uns reagieren? Würden wir nur die eigene Haut retten oder die Welt verändern wollen? Den alles entscheidenden Schritt unternehmen, auch wenn es der Letzte ist?
In Standish reift langsam aber sicher ein Plan heran. Er muss den Menschen die Augen öffnen und den Plan des Regimes vereiteln. Doch wird ihm dies überhaupt gelingen? Ein Kampf gegen Goliath? Leider lässt die Geschichte nicht allzu viel Hoffnung auf ein Happy-End zu.
Das Cover ist ein absoluter eye-catcher und das Buch macht auch ohne Umschlag eine tolle Figur. Im Innenteil gibt es eine weitere Besonderheit. Hier wurde parallel zur Handlung eine weitere kleine Geschichte in Bildern hinzugefügt. Eine Art Daumenkino, nur ohne Daumen. Diese Geschichte in Bildern steht und fällt mit dem Handlungsstrang der Hauptgeschichte. Für mich ein ganz besonderes und einmaliges Leseerlebnis. Ich finde es einfach nur toll, welche Mühe sich manche Autoren und Verlage geben.
Erwähnen sollte ich vielleicht noch die ‘speziellen’ Ausdrücke, die Standish gebraucht: sei es die Blattläuse, die die Mitläufer bzw. Regimetreuen darstellen sollen oder das Land Croca-Cola, in das Standish mit Hector reisen möchte – die Autorin beweist Feingefühl und eine hohe Erzählkunst.
Fazit:
Eine fiktive Geschichte mit intensiver Sogwirkung in einer düsteren Parallelwelt und der zentralen Frage über die Moral sowie ein Plädoyer für die Andersartigeit. Absolute Leseempfehlung!